Ein junger Mensch zwischen zwei Geschlechtern

12. Oktober 2014 | Von | Kategorie: Allgemeines, News

 

Wie aus der schüchternen Nadine der selbstbewusste Davin wird

 

Meppen. Kinoatmosphäre zieht sich durch die Räumlichkeiten des Meppener Jugendzentrums an der Königstraße in Meppen. Die Süßwarenschüsseln sind prall gefüllt und die Getränkeflaschen gehen reihum. Die Jugendlichen im Raum, so still wie selten, sind gespannt. Es beginnt der US-amerikanische Fernsehfilm „Prayers for Bobby“, der Geschichte von Bobby Griffith. Mit in der Runde der jungen Zuschauer sitzt auch Davin Rickmann. Der 19-jährige Meppener ist transsexuell und erblickte als Nadine das Licht der Welt. Ich komme mit ihm ins Gespräch und erfahre seine Geschichte, in einer sehr tiefsinnigen Unterhaltung, die weit über den Abend hinaus führte.

 

Wie er erzählt, spürte er bereits mit sieben bis acht Jahren, dass etwas anders ist, als bei anderen Mädchen seines Alters. Statt mit Puppen und anderen Mädchen zu spielen, zog es ihn zu den gleichaltrigen Jungs und kletterte mit ihnen auf den Bäumen herum. Zu Beginn hielten seine Eltern sein Verhalten für eine Phase, in der Kinder einfach auch unterschiedliche Aktivitäten ausprobieren wollen. Aus seiner Erinnerung heraus habe er dann mit etwa neun bis zehn Jahren begonnen, sein äußeres Erscheinungsbild dem inneren Gefühl anzupassen. So beließ er es nicht nur bei der veränderten Kleiderwahl, sondern ließ sich das erste Mal seine langen Haare recht kurz schneiden.  Dies hieß auch, dass er nicht mehr anzog an Klamotten, was ihm seine Mutter hinlegte, sondern suchte sich seine Klamotten selber aus. Für ihn war da klar, nicht mehr ein Mädchen sein zu wollen, sondern ein Junge und sich nach außen als solcher zu geben. Bestärkt wurde er mit etwa zwölf bis dreizehn Jahren vom Outing von Balian Buschbaum. Balian Buschbaum wurde am 14. Juli 1980 in Ulm als Yvonne Buschbaum geboren. Bis zum Outing als Transmann im Jahr 2007 war Balian Buschbaum als Yvonne eine erfolgreiche deutsche Leichtathletin im Stabhochsprung und nahm unter anderem an den Olympischen Sommerspielen im australischen Sydney teil, wo er den sechsten Platz belegte.

 

Natürlich blieb das veränderte Verhalten seiner Mutter nicht verborgen. In ihr begannen Denkprozesse, ob dieses wirklich nur eine Phase sei oder doch Davin anders ist, als sie zuvor angenommen habe. Doch bevor sie sich traute, das Thema offen anzusprechen, testete sie ihre „Tochter“. So kaufte sie immer wieder bewusst Kleidung für ihre „Tochter“ ein, um anhand der Reaktion zu sehen, ob ihre anfängliche Vermutung richtig sei. Zuletzt, so erinnert sich Davin, habe sie ihm eine mit Blümchen verzierte Strickjacke gekauft, die sie Abweisung selber tragen würde. Zum Mutter-Tochter-Gespräch über seinen Lebenswandel kam es im März 2013. Für ihn sei dieses Gespräch sehr offen und ohne Ängste, gar befreiend gewesen. Wie er nachschiebt, seien die drei Jahre davor für ihn der reinste Horror gewesen. Zwischenzeitlich fühlte er sich wie in einer tiefen Depression, einer Lebenskrise, wie er sie bei Frauen in den Midlife-Crisis immer vorgestellt habe. Mit den Teenager-Jahren dachte er immer wieder über die zurückliegenden Jahre nach und stellte sich die Frage, ob das, was er da tut wirklich richtig sei. Für ihn war es in den Jahren eine Frage nach seiner Identität, ein Kampf zwischen Kopf und Herz. Diese Krise führte dazu, dass er sich völlig zurückzog und die Lust am Leben verlor. Mit seiner Außenwelt kommunizierte er in der Zeit vor allem über das Internet und ließ sich fortwährend Ausreden einfallen, warum er nicht an dieser oder jener Aktivität mit den Freundinnen teilnehmen wolle. Sogar regelrecht krank habe ihn diese Krise gemacht. Wie uns Pascal Hartmann-Boll ergänzend erklärt, können diese von der Psyche verursachte Beschwerden sein, die unter dem Sammelbegriff der Psychosomatischen Erkrankungen fallen.

 

Das Gespräch mit seiner Mutter, so beschreibt es Rickmann, sei für ihn wie ein Wendepunkt gewesen, die ihm neues Leben einhauchte und den Gemütszustand um 180° drehte. Im Anschluss an das Gespräch verspürte er wieder die Laust auf das Leben und dieses zu genießen. Seine Mutter steht zu 100 Prozent hinter ihm und werde ihn auch auf seinem Weg unterstützen. Einige Zeit nach dem Gespräch suchten beide gemeinsam das vertrauliche Gespräch mit dem Hausarzt, um den Stein des Anstoßes ins Rollen zu bringen. Dieser suchte mit Mutter und „Tochter“ nach den richtigen Kontakten und wurde fündig in Münster. Dort gibt es einen psychologischen Dienst, der Menschen dabei hilft, den Weg der eigenen Identität zu finden und sie in ein neues Leben begleiten. Dazu gehört, dass die Interessenten, einen Alltagstest bewältigen müssen, in dem sie beweisen, dass sie es schaffen, ein Jahr wie das andere Geschlecht zu leben, inklusive des neu gewählten Vornamens. Während dieses Jahres musste er jeweils einmal im Monat nach Münster, wo er durch psychologisches Fachpersonal immer wieder begutachtet wurde. Hintergrund dessen ist, dass eine Geschlechtsumwandlung ein einschneidender Eingriff ins Leben ist und den Krankenkassen wichtig ist, dass die Personen psychisch stabil genug sind, dieses wirklich dauerhaft zu wollen. So soll auch ausgeschlossen werden, dass dieser Wunsch nur eine vorübergehende Laune von Personen ist. Inzwischen ist für Davin das Jahr so gut wie rum.

 

Während dieser Zeit ist nicht nur viel Wasser die Ems hinabgeflossen. So ging er anfangs noch als Nadine zur Marienhausschule in Meppen, einer privaten Berufsfach-, Fach- und Fachoberschule, die sich in kirchlicher Trägerschaft befindet. In unserem Gespräch berichtet Davin über den Prozess der Veränderung und dem Outing vor seiner Klasse. Dabei habe er zuvor natürlich mit der Schulleitung reden müssen, die dem Ganzen für ihn ein wenig unerwartet sehr offen gegenüber standen. So habe der künftige Mann zuerst seinen engsten Freundinnen dort von seiner Gesichte erzählt, bevor er sich dann in der Klasse und nötigen Mitschülerinnen outete. Auch hier erfuhr er durch sein entschlossenes und selbstsicheres Auftreten nur positives Feedback, wie mir Davin berichtet. Für ihn besonders als Anekdote blieb die Abschlussfahrt in Erinnerung, bei der sich alle Beteiligten die Frage stellten, zu welchem Geschlecht man ihn zuzuordnen habe. Letztendlich habe man sich dazu entschieden, ihn in der Frage weiterhin als junge Frau anzusehen und ihn zusammen mit den Freundinnen in ein Zimmer einteilte. Rückwirkend resümiert er, haben ihn seine Freundinnen nach dem Outing unter ihre Fittiche genommen, um aus ihm einen Mann mit tollem Charakter zu machen. Ihnen sei es wichtig gewesen, dass Davin kein Macho oder Idiot würde, sondern ein echter Gentleman mit Manieren und Benimm. Nicht nur die Mitschülerinnen mussten sich in der Zeit miteinander umstellen und von der schüchternen Nadine Abschied nehmen. Auch die Lehrer hatten zu Beginn ihre liebe Not, so Rickmann. Denn auf mal saß vor ihnen ein Davin, der im Gegensatz zu Nadine selbstbewusst ist und nicht mehr zu alles „ja“ und „Amen“ sagte, sondern vieles hinterfragte. Im Großen und Ganzen aber, hätten sich alle sehr harmonisch zurecht gefunden und so schaut Davin fast schon ein wenig wehmütig auf eine tolle Zeit zurück. 

 

Wie geht es danach für ihn weiter? Wenn alles so klappt, wie er es sich erhofft und der Antrag auf Hormonbehandlung Seitens der Krankenkasse genehmigt wurde, könnte seine Behandlung noch im Januar nächsten Jahres beginnen. Während der Hormonbehandlung, aber auch während der operativen Behandlungsphase wird er weiterhin in Münster von dem psychologischen Dienst betreut. Jedoch werden in dieser Zeit die Intervalle der Sitzungen in Münster vergrößert. Insgesamt, so sagt auch Hartmann-Boll könne ein solcher Prozess der Geschlechtsumwandlung je nach Verlauf zwischen drei bis fünf Jahre dauern, wobei eher davon auszugehen sei, dass man gute fünf Jahre ansetzen könne als grobe Zeitspanne. Abhängig ist das natürlich immer von jeder Persönlichkeit, wie sie das ganze verkraftet und die Heilungen zwischen den operativen Eingriffen verlaufen. Auf die Frage, wie er reagieren werde, wenn es soweit ist mit der Hormonbehandlung, wusste er noch nicht so richtig, was er antworten sollte, meinte jedoch Minuten später, dass er wohl, wie eher selten, weinen werde vor Glück und „Gott sei Dank“ denken. Je näher für ihn dieser Moment rückt, umso mehr freue er sich darauf, ein weiteres Etappenziel zu erreichen, auf dem Weg zu seinem neuen „Ich“.

 

Am Ende unserer inzwischen wiederkehrenden Gespräche hat Davin noch eine Bitte. Zu Beginn unseres Kontaktes war ihm noch nicht klar, wie ein solcher Artikel sein könnte, denn als Ich den ersten Artikel für die Peergroup8 schrieb, war er nicht bei den Treffen dabei. Inzwischen wirkt es sehr vertraut, offen und er wünscht sich, dass viele Menschen diesen Artikel lesen. Im Fokus soll die Aufklärung stehen, dass auch an transsexuellen nichts Unnormales ist. Sie sind Menschen wie du und ich, Menschen, die nur nicht das Glück hatten, direkt im richtigen Körper geboren worden zu sein.

7 Kommentare auf "Ein junger Mensch zwischen zwei Geschlechtern"

  1. Christa Sulmann sagt:

    Grossen Dank an Tim Lampen. Der Bericht ist wunderbar und sehr respektvoll geschrieben! Ich bin die Mama von Davin und hoffe, dass die Öffentlichkeit die Scheu davor verliert, mit Transsexualität umzugehen.

  2. hanne esders sagt:

    Ich kann mich an die Worte meiner Schwester Christa Sulmann nur anschließen,Und hoffe das es ein Anstoss für viele ist die immer noch denken transsexuelle seien krank,so als hätten sie nur eine Grippe,nein das sind Menschen,wie Du und ich, die leider im falschen Körper zur Welt kamen,und denen man mit Achtung entgegen treten soll.Genauso wie ich es bei jedem anderen auch mache.Ich jedenfalls bin stolz und froh,das sich mein Neffe Davin seiner Mutter anvertraut hat.

  3. Lorena W. sagt:

    Ich bin eine von Davins Freundinnen aus der FOS Klasse!
    Zu diesem Artikel kann ich nur sagen, dass ich es einfach klasse finde wie du mit deiner Situation umgehst.
    Du hast uns immer unsere – manchmal sehr seltsamen – Fragen beantwortet & bist offen damit umgegangegn. 🙂

    & ich muss sagen: wir haben dich zu einem guten Kerl gemacht. ;p 🙂

  4. meike esders sagt:

    Ich bin Davins Kusine und kann nur sagen wir alle stehen geschlossen als Familie hinter ihm.ein toller Bericht der jedem die Augen öffnen sollte

  5. Petra Hanses sagt:

    Eine tooler Bericht.

    RESPEKT DAVIN, DAS MACHST DU KLASSE. Ich wünsche DIR ……. ALLES GUTE.

    In Zukunft hoffe ich, das alle Menschen so respektiert werden, wie SIE sind.

  6. Hervorragender Beitrag der Redaktion, Glückwunsch!
    Davin, eine schöne persönliche Darstellung und ein großer Schritt, es auch öffentlich zu machen!
    Für die Zukunft alles Glück der Erde.
    Lieben Gruß
    Kim Ole, LAND LuST e.V.

  7. Gidion Schneider sagt:

    Sehr schöner bericht mein lieber Davin. Das hilft schon sehr wenn man sein Anliegen öffentlich machen kann, und nicht alleine da steht.
    Da ich auch betroffen bin, ( Transfrau ) freue ich mich wenn man so akzeptiert wir, so wie man sich fühlt, sei es als Mann oder eben als Frau.

    Wünsche dir weiterhin alles gute, und dass deine Wünsche in Erfüllung gehen.
    Liebe Grüße von Gidion

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